Wer die Berichte in der lokalen Presse in letzter Zeit verfolgt hat, war nicht überrascht, dass das Prinzenmahl in diesem Jahr den Weg ins Zeughaus gefunden hat. Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt, allerdings diesmal nur unten, denn das berühmte Gepäcknetz wurde nicht benötigt und wäre für den Anlass auch unpassend gewesen.

Reiner Franzen, der Vize-Präsident des KA, begrüßte alle Gäste und bat Jakob Beyen zur Begrüßungsrede des Präsidenten auf die Bühne. Dieser konzentrierte sich in seiner Rede auf vier wesentliche Punkte; die Verjüngung des KA-Präsidiums, die Tatsache, dass der Karnevalsauschuss weiter wächst und vier neue Gesellschaften als Mitglieder hat, die Bedeutung von Brauchtumskultur in unsere Gesellschaft und die neue Wagenhalle für die Wagenbauer. Die ersten beiden Punkte machen das diesjährige Motto „Et jeht immer wigger“ deutlich. Der Karneval als Brauchtumskultur ist nach seiner Ansicht eine wichtige Grundlage der Lebensqualität für alle Teile der Gesellschaft. Und zu guter Letzt ist die eigene Wagenhalle, die ja nur durch die Unterstützung der Stadt Neuss möglich wurde, ein Zeichen für die Bedeutung, die die Politik dem Karneval zumisst.

Reiner Breuer bezeichnete der Vertrag über die Wagenbauhalle auch als Geschenk an Prinz Kalli I., der ja der Oberwagenbauer ist und für den hier sicher ein Traum in Erfüllung geht. Dieser Schritt zeigt aber auch, wie wichtig allen Fraktionen des Stadtrates das Brauchtum, egal ob Sommer oder Winter, ist und man bereit ist, dafür auch Geld in die Hand zu nehmen. Zudem wies er noch einmal darauf hin, wie wichtig die Stadt das Thema Fair Trade nimmt. So wichtig, dass es dieses Jahr erstmalig einen eigenen Mottowagen der NEWI am Kappessonntagsumzug geben wird.

Titschy, der Nüsser Jung und als Markus Titschnegg der Vize-Vize von Reiner Franzen und sein designierter Nachfolger am Ende des 1. Lehrjahrs, gab das aktuelle Mottolied zum Besten und danach hielt der Landrat, Hans-Jürgen Petrauschke, eine seiner launigen Reden, diesmal schwerpunktmäßig mit der Frage, was denn ein Vizepräsident so für Aufgaben hat. Vergleiche zwischen einem US-Vizepräsidenten und Reiner Franzen waren rein zufällig.

Als Gastredner des Vormittags konnte Wilfried Gaul-Canje gewonnen werden, der in der St. Augustinus Gruppe geschäftsführend für die Behindertenhilfe verantwortlich zeichnet. Er beschrieb ebenso launig wie spannend, mit welchem Enthusiasmus sich alle Mitarbeiter bemühen, mal fürsorglich, mal fordernd, immer partnerschaftlich und auf Augenhöhe die Menschen zu begleiten im bunten Karneval des Lebens. Er wies darauf hin, dass die St. Augustinus Gruppe zwar katholisch ist, aber auf eine rheinische Art, denn im Rheinland sind die Protestanten auch irgendwie katholisch, genauso wie die jüdischen, moslemischen und buddhistischen Mitarbeiter. Und alle sind auch immer wieder Sünder. Das eigentliche Thema seines Vortrags aber war: Vielfalt oder Einfalt – Ihr habt die Wahl. Besagte Vielfalt zeigt sich, wenn am Kappessonntag unter den mehr als 3.000 Teilnehmern auch einige 100 Menschen mit Behinderung zu finden sind, die unbeschwert und fröhlich dabei sind. Das ist Inklusion, die funktioniert. Für den tollen Vortrag gab es nicht nur viel Applaus, sondern auch eine Torte des Karnevalsschusses.

Das Neusser Prinzenpaar verteilte dann Orden und freute sich, dass das Prinzenmahl nur so heißt und keinen kannibalistischen Hintergrund hat. Statt verspeist zu werden, bekamen sie auch eine Torte überreicht.

Das Mittagessen kam wieder aus der Küche von Wolfgang Poluzyn, dem Gastronomen in der Essenz und wurde von der Ex-Novesia Jutta Stüsgen gesponsert.

Guido Raudenkolb, der langjährige Justiziar des KA, bekam seine Urkunde mit der Ernennung zum Ehren-Justiziar überreicht und dann wurde es auf der Bühne offiziell und für alle sichtbar der Vertrag über die Wagenbauhalle von Reiner Breuer und Jakob Beyen unterschrieben. Damit verfügt der Karnevalsauschuss nun offiziell und dokumentarisch festgelegt über eine eigene Wagenbauhalle. Der Umzug ist zum 01.07.2019 geplant.

Damit endete ein angenehmer Vormittag und Jakob Beyen entließ die Teilnehmer mit Dank und schickte sie quasi zurück an ihre jeweiligen Arbeitsplätze.

Rede des KA-Präsidenten Jakob Beyen:

Sehr geehrter Herr Bürgermeister,

verehrter Herr Landrat,

hochgeschätztes Prinzenpaar Kalli I und Mandy I,

umjubelte Prinzenpaare aus Mönchengladbach und Kaarst,

sowie das Kinderprinzenpaar der Blauen Funken.

liebe Karnevalisten und Gäste,

ja, ich stehe immer noch hier. Aber sehr entspannt, denn der Karnevalsausschuss hat sich sehr stark verjüngt und für die Zukunft neu aufgestellt.

Ich darf Sie heute im Namen von Christoph Kinold, Sabine Roeb, Daniela Beylschmidt und Reiner Franzen mit seinem AZUBI Markus Titschnegg (Titschi) zu unserem traditionellen Prinzenmahl im Zeughaus, herzlich willkommen heißen.

Wir sind zurückgekehrt in die gute Stube der Stadt Neuss.

Das Mahl mit dem Prinzen ist ein Dank an unsere Gesellschaften, Partner, Förderer, Unterstützer und die Verwaltung.

Ich freue mich, dass seit dem letzten Jahr vier neue Gesellschaften im Karnevalsausschuss aufgenommen wurden.

Die Übernahme der Schirmherrschaft durch den Bürgermeister ist eine besondere Wertschätzung gegenüber dem Neusser Karneval, wofür wir sehr dankbar sind.

Sie alle, meine Damen und Herren, sind heute hier, weil Sie wissen, dass Karneval etwas ist, was man mit dem Herzen lebt.

Der Karneval strebt nach hoher Anerkennung als Weltkulturerbe. Unsere Freunde aus Düsseldorf reisten unlängst nach Brüssel zur EU und warben um Unterstützung. Karneval gab es bereits in der Antike. Jacques Tilly, sagte vor kurzem; Karneval ist Kultur seit Menschheitsdenken.  

Im kreisstädtischen Karneval erleben wir jedes Jahr die eigene Geschichte und die kreative Entfaltung unserer eigenen Ausdrucksformen, als wesentliche Grundlagen unserer Identitätsbildung. Im Karneval darf und soll der Mensch sich schmücken, zeigen, bewundern lassen, hier erntet er unabhängig vom sozialen Status Anerkennung.

Die Karnevalisten haben einen großen und weiten Blickwinkel, der keine Abgrenzung zu anderen Kulturen entstehen lässt.   Denn die Teilhabe des Karnevals, als Teil von Kunst und Kultur, ist eine wichtige Grundlage der Lebensqualität für alle Teile der Bevölkerung.

 Brauchtumskultur, sie umfasst ganze Regionen, Städte oder Gruppen, sie transportiert über die Generationen gewachsene Lebensweisheit und Wir-Gefühl.

Brauchtum Karneval ist Kultur und damit ein wichtiger Bestandteil des Stadtmarketings.  Kultur und Brauchtum müssen wir als Motor für wirtschaftliche Entwicklung in der heutigen Informations- und Wissensgesellschaft begreifen. Die Kultur muss ein integraler Bestandteil von Stadtplanung, Stadtentwicklung und Tourismusförderung sein.

Kulturförderung ist daher nachhaltige Wirtschaftsförderung sowie Standortförderung und somit unverzichtbarer Bestandteil für die Zukunftsfähigkeit der Stadt Neuss.

Aber: Kulturelle Arbeit braucht belastbare Kontinuität.

Hier bedarf es materieller und struktureller Grundlagen.  Es müssen ausreichend Mittel zur Verfügung stehen und eine dauerhafte Qualität muss sichergestellt werden. Jedes Jahr wird die Diskussion um den Haushalt auch eine Diskussion um Kulturförderung sein, die wir stabil durchstehen müssen.

Unsere Arbeit, sollten wir in dem Bewusstsein führen, das aus  der Jahrhundert alten Tradition des Karnevals wir in der  Gegenwart Potentiale für die Zukunft entwickeln können und müssen. Sehen wir den Karneval als Helfer für den Zusammenhalt der Gemeinschaft.

Unser diesjähriger Gastredner Wilfried Gaul-Canje (Geschäftsführer der Augustinus Behinderten Hilfe) wird die Bedeutung des Karnevals für unsere Mitmenschen mit Behinderung beleuchten. Bei uns nehmen rd. 400 Menschen mit unterschiedlichsten Behinderungen am Umzug teil und vertreten damit vier große Träger im sozialen Bereich in Neuss.

Bei uns ist es nicht nur ein Schlagwort, sondern gelebte Praxis:

Karneval ist gelebte Inklusion, Inklusion zum Anfassen.

Einen humoristischen Teil werden sie heute vermissen.

 Im Sinne der Brauchtumskultur werden wir heute den Karneval in Neuss mit der Unterzeichnung des Mietvertrages für die neue Wagenhalle stärken.

Wir wollen heute, eine für die Karnevalisten in Neuss und dem Rhein Kreis Neuss, wichtigen formellen Akt durchführen.

Erstmals in der fast 50-jährigen Geschichte des Karnevalsausschusses bekommen wir eine eigene Wagenhalle, wo wir gemeinsam unsere Wagen unterstellen können.

Der Mietvertrag zwischen Vermieter – hier darf ich Herrn Geisel herzlich begrüßen – und der Stadt Neuss ist geschlossen.

Hier und heute werden wir den Untermietvertrag mit der Stadt Neuss unterzeichnen. Der Umzug ist für den 1.7.2019 vorgesehen.

Heute möchte ich mal ausnahmsweise nicht jeden, sondern in besonderer Weise allen Partner im Karneval, Freunde und Unterstützer danken für das Vertrauen und die tolle Unterstützung – über mittlerweile 11 Jahre, danken.

Mein heutiger besonderer Dank gilt Jutta Stüsgen, die das heutige Prinzenmahl sponsert. Sie hat nicht selbst gekocht, sondern dies Wolfgang Polluzyn mit seinem Team überlassen.

Danke Jutta und Wolfgang.

Lasst uns ab Morgen mit Humor und einem breiten Lachen in den Straßenkarneval gehen.

Unser Prinz Kalli I. hat uns 26 Grad für Sonntag versprochen; 13 vormittags und 13 nachmittags – das lässt hoffen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Ich darf das Wort zurück an unseren Moderator Reiner Franzen geben.

 

 

 

Rede von Wilfried Gaul-Canje:

Sehr geehrtes Prinzenpaar, liebes närrisches Volk,

mein Name ist Wilfried Gaul-Canjé. Ich bin geschäftsführend verantwortlich für die Behindertenhilfe der St. Augustinus Gruppe.

Herzlichen Dank für die Einladung und für die Gelegenheit, zu Ihnen sprechen zu können.

Das närrische Volk, für dessen Bespaßung ich als Frontclown zuständig bin, besteht aus ca. 1000 Bürgerinnen und Bürgern mit besonderem Unterstützungsbedarf – meistens im Zusammenhang ihrer Behinderung oder ihrer psychischen Erkrankung und ca. 700 fleißigen Cowboys, Indianern, Lappenclowns, Oberärzten, Ordensbrüdern und Scheichs; die versuchen, mal fürsorglich, mal fordernd, immer partnerschaftlich und auf Augenhöhe die Menschen zu begleiten im bunten Karneval des Lebens.

Wir sind Teil der St. Augustinus Gruppe mit somatischer und psychiatrischer Medizin, mit Senioren- und Behindertenhilfe. Und wir sind katholisch. Auf unsere eigene, hoffentlich einladende Weise.

Kennen Sie von Jürgen Becker das Lied: „Ich bin so froh, dass ich nicht evangelisch bin …“ Bevor jetzt hier im Saal die ersten empörten Buh-Rufe kommen. Unternehmensphilosophisch sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass hier bei uns in Nüss selbst die Protestanten absolut katholisch sind, genau so wie die Juden, Muslime und Buddhisten, die bei uns arbeiten.

Was uns alle eint, ist die Lust an der Sünde (Wir sind alle kleine Sünderlein/Willy Millowitsch). Moral, sagt Jürgen Becker, ist nur erträglich, wenn sie doppelt ist. Theologisch gesprochen: Jott es janit esu.

Dä jute Jott: er sortiert die Schäfchen nicht nach

nur gut – oder – nur böse

nur fromm – oder nur gottlos

nur richtig – oder nur falsch

Der Herrjot hätt Spaß am Lappeclown.

Hochdeutsch: Er liebt und segnet die Vielfalt, das bunte und widersprüchliche Leben.

Warum sag ich Ihnen das? Weil wir jetzt beim Thema sind.

Meine Überschrift:

Vielfalt oder Einfalt

Ihr habt die Wahl

Als erstes singe ich ein Loblied auf unseren Nüsser Karneval. Wenn am Kappessonntag der sündige Trupp sich in Bewegung setzt, sind Menschen aus aller Herren Länder dabei, schlaue und besonders schlaue, gesunde und kranke, brünette, blonde und schwarzhaarige, Glatzköpfe und Wuschelköpfe – und eben auch hunderte von Menschen mit dem Stigma Behinderung.

Das ist in der Zwischenzeit selbstverständlich geworden. Und jetzt sag ich Ihnen, wie Inklusion funktioniert:

Am Anfang stand die Einladung: Drink doch ene met – stell disch niddesu ahn.

Das haben unsere Profijecken unter Führung von Eva Schäfer gehört und sind mit Menschen mit Behinderung losgezogen.

Mittlerweile, es hat ein bisschen gedauert, haben viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (ich würde sagen, die eher evangelischen unter den katholischen) bemerkt, wie toll das ist, dabei zu sein. Jetzt sind wir über Hundert Verrückte

  • solche mit Diagnose – und solche, wo die Diagnose noch fehlt
  • solche mit Behinderung – und solche, die sich von den Behinderten und ihrer puren Freunde haben anstecken lassen.

Gemeinsam on the road. Kamelle.

Ein super schlauer Mensch hat mal gesagt: „Erst wenn es gelingt, die großen Fragen einfach (nicht einfältig) einfach zu beantworten, dann haben wir verstanden.“

Inklusion ist zwischenzeitlich ein widersprüchlicher und ziemlich zerfetzter Begriff (so ein bisschen wie der Lappenclown).

  • Ein Läppchen „Glühende Befürwortung“
  • Ein Läppchen „Große Skepsis: Lasst uns lieber weiter sortieren in Schule und Beruf, beim Wohnen, bei der Freizeit“
  • Ein Läppchen „Gelingendes Leben“ und direkt daneben
  • Ein Läppchen „Gut gemeint – aber leider daneben“

Unser Neusser Karneval ist entschieden bunt – und er darf sich inklusiv nennen, nicht weil schon alles perfekt ist, sondern weil er Räume öffnet für früher ausgegrenzte Menschen.

Es sind Räume – inklusive Räume – weil darin Menschen mit Behinderung für andere bedeutungsvoll werden. Sie werfen Kamelle ins Volk, sie stecken mit ihrer Freude an, sie sind ein wunderbares Zeichen für alle Noch-nicht-Behinderten, Noch-nicht-Kranken. Mit Behinderung, mitten in der Krankheit ist ein Leben in Fülle möglich.

Ich darf kurz politisch werden. Wir leben in Zeiten, in denen das Grenzen ziehen, das Abschotten, die Diskriminierung des Fremden wieder salonfähig ist. Die europäische Idee eines friedlichen, demokratischen, sozialen Lebens und Wirtschaftens hat erhebliche Lackschäden, aus Kratzern sind Beulen geworden. Aus transatlantischer Freundschaft wird Angst und Sorge, aus Abrüstung wird Aufrüstung.

Noch eins drauf: Aus dem Kreuz als dem Zeichen grenzenloser Liebe wird ein folkloristisches aus- und abgrenzendes Symbol der Heimatverbundenheit. Einfältiger geht nicht!

Ich setze da lieber auf unseren rheinischen Frohsinn, der den sprichwörtlichen Immi zum Schunkeln einlädt. Meine Heimat ist offen, ist bunt, ist gelebte Vielfalt, das ist genetisch angelegt, glaub ich.

Die Bläck Fööss haben ihre Stadt besungen:

Du häs e herrlisch Laache em Jeseech

Ich wünsche Ihnen und Euch jetzt reichlich Spaß an d’r Freud. Wir machen gemeinsam die Welt ein Stückchen inklusiver und damit lebenswerter für uns alle.

Schließen möchte ich mit dem kleinen Prinzen: Jetzt habt Ihr uns gezähmt. Jetzt gehören wir zusammen. Et jeht immer wigger.

On’s Nüss – Helau !